Als in den Jahren 1627 bis 1647 die Sozinianer in Polen von der Gegenreformation verdrängt wurden, gingen viele von ihnen nach Westeuropa ins Exil, vor allem in die Niederlande. Durch diese Migration erlebte der Antitrinitarismus erneut den Kulturtransfer in ein neues theoretisches und kulturelles Ambiente. Was hat der Transfer von einer relativ statischen und rückständigen kulturellen Umgebung in die Dynamik der Pluralisierung der fortgeschrittenen Niederlande ausgelöst? Wie haben die Sozinianer die soziale Umstellung von einer auf Familienbanden gründenden Exilgruppe zu einer diffusen Modernitätsbewegung in losen Netzwerken von Sympathisanten überstanden? Wie sind diese europaweiten Netzwerke aktiv geworden?
Das Kolloquium bemüht sich um die Zusammenführung der gegenwärtigen Kulturtransferforschung mit der — in Deutschland seit dem Ende der liberalen Theologie massiv vernachlässigten — Aufarbeitung der antitrinitarischen Tradition und der Rekonstruktion der Pluralisierung in der frühen Neuzeit. Dabein verstehen sich theologische und philosophische Perspektive als komplementär: was theologisch (etwa mit Adolf von Harnack) also Auflösungsprozeß der Dogmatik erscheint, erweist sich philosophisch als Genes von Aufklärung. Der Ansatz der Frage nach Pluralisierung und Autorität macht es aber möglich, beiden einseitig teleologischen Perspektiven zu entkommen und eine dritte, auf wechselseitigem Transfer und die Koexistenz von Altem und Neuen blickende Perspektive zu etablieren.