Um eine kurze schriftliche Anmeldung bis zum 26. März wird gebeten: frieder.vonAmmon@gmx.net
Als ein Spezifikum, ja geradezu als Epochensignatur kann die Multiplizierung, die Differenzierung, Hierarchisierung und Autonomisierung, insgesamt: die Pluralisierung des Paratextes in der Frühen Neuzeit verstanden werden. (Pluralisierung meint damit nicht Vermehrungs-Phänomene rein quantitativer Art, sondern komplexere Erscheinungen, bei denen eine quantitative Vermehrung strukturelle Veränderungen zur Folge hat.) Zwar haben einzelne paratextuelle Elemente auch in der Buchkultur der Antike und des Mittelalters eine — mitunter bedeutsame — Rolle gespielt, man denke etwa an Gliederungselemente, an Illustrationen (von dem Codex Virgilianus bis zu den Randmarkierungen in Wittenwilers Ring), an textliche und bildliche Widmungen oder an die Inhaltsverzeichnisse und Register von Sammelhandschriften; doch mit der Erfindung des Buchdrucks gewinnt der Paratext fundamental an Bedeutung. Das hängt offenbar mit den durch den Druck völlig veränderten Rahmenbedingungen literarischer Kommunikation zusammen: Die Teilhabe des einzelnen Buchs an einem je spezifischen kulturellen Kontext geht im Zuge der Entpragmatisierung, Entindividualisierung und Anonymisierung literarischer Kommunikation zunehmend verloren. Nun regelt der Paratext die Kommunikation zwischen Produzent, Text und Rezipient. Aufgrund dieser — damit noch sehr allgemein bestimmten — Funktionsveränderung kommt es vom späten 15. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts zu einer im Vergleich zur Handschriften-Kultur erstaunlichen Pluralität paratextueller Phänomene, die von der Etablierung neuer (Titelblatt, Titelkupfer, Erklärung des Titelkupfers, Exlibris, Motto, Ehrengedicht usw.) bis zur formalen und funktionalen Ausdifferenzierung herkömmlicher paratextueller Elemente (Widmung, Vorrede, Marginalie, Register etc.) reicht und die die Frühe Neuzeit insgesamt als eine Epoche des Paratextes erscheinen läßt.
Das Kolloquium nimmt sich vor, die Frühe Neuzeit in den Blickpunkt der Paratext-Forschung zu rücken, die sich bislang vorwiegend mit der Zeit ab dem 18. Jahrhundert beschäftigt hat: Formen, Funktionen und Theorie des frühneuzeitlichen Paratextes sollen erstmals in großem Zusammenhang untersucht werden, und zwar in einem Zeitraum von ca. 1400 bis ca. 1750. Zum Gegenstandsbereich gehören grundsätzlich alle Genera der frühneuzeitlichen Schriftkultur (Publizistik, Wissensliteratur, 'schöne' Literatur usw.).
Dabei wird es darum gehen, die Perspektiven der Paratext-Forschung mit denen des Münchner SFBs 573 Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit zu verbinden. Denn der Paratext ist nicht nur selbst diesem epochalen Kräfteverhältnis ausgesetzt, sondern wird möglicherweise auch zu einem Ort, an dem weitere mit diesen beiden Leitbegriffen beschreibbare Phänomene erkennbar werden: etwa wenn pluralisierende Tendenzen eines Textes in seinem Paratext emphatisch kommuniziert oder sogar inszeniert werden bzw. wenn im Gegenteil deren Kommunikation durch den Verweis auf Autoritäten zu verschleiern oder zu verhindern versucht wird. Das Kolloquium zielt insofern nicht nur auf eine Formgeschichte des Paratextes ab, sondern gerade auch auf die Erforschung seines kommunikativen Potentials, das heißt auf die Frage, inwiefern sich Pluralisierung bzw. Autorität über Paratexte vermittelt. Eine andere Fragestellung betrifft das Verhältnis zwischen der Pluralisierung des Paratextes auf der einen und der Autorität des Textes auf der anderen Seite. Es ist davon auszugehen, daß auch hier epochenspezifische Veränderungen zu beobachten sind.