Pluralisierungen

Konzepte zur Erfassung der Frühen Neuzeit

Tagung vom 07.-09. Dezember 2006
Siemens Stiftung München

Veranstalter: Sonderforschungsbereich 573 (projektübergreifend)



Beschreibung

Das Kolloquium soll die Tragfähigkeit des Konzepts 'Pluralisierung' als Leitkonzept für die Erschließung der Frühen Neuzeit diskutieren. Pluralisierung meint zunächst die Vermehrung der in einem Lebens- und Kulturbereich relevanten Repräsentationen der Wirklichkeit und bedeutet darüber hinaus die Emergenz von 'neuem' bzw. alternativem Wissen und das Entstehen kompetitiver Teilwirklichkeiten. Diese müssen aufeinander abgestimmt oder miteinander vermittelt werden. Dabei entstehen Formen des Dialogs über die Grenzen dieser Teilwelten hinweg, Konflikte werden ausgetragen und Wege der Konfliktbewältigung erprobt. Die von diesen Prozessen betroffenen Phänomene sind bekannt, etwa Konfessionalisierung, Ausdifferenzierung von Wissen, Verarbeitung der Begegnung mit der Neuen Welt, Ausbildung neuer Muster sozialen Verhaltens. Pluralisierung spielt sich erst in einem langen widerspruchsvollen Prozeß ein, der in den Jahrzehnten um 1500 eine neue Dynamik entwickelt.

Pluralisierung steht in Konkurrenz zu Konzepten wie 'Dialogisierung', 'Konfessio­nalisierung', 'Individualisierung', 'Rationalisierung', 'Sozialdisziplinierung' usw. Um die Diskussion über die konkurrierenden Konzepte mit den Mitgliedern des SFB zu stimulieren, wurden vier auswärtige Wissenschaftler zu Referaten eingeladen, die aus der Sicht der Religions­soziologie (Alois Hahn, Trier), der Literaturwissenschaft (Klaus Hempfer, Berlin), der Rechtsgeschichte (Jan Schröder, Tübingen) und der allgemeinen Geschichte (Olaf Mörke, Kiel) in einem ersten Block 'Konzeptionalisierungen der Frühen Neuzeit' grundsätzliche Überlegungen zum Epochenkonstrukt einbringen sollen. Mitglieder des SFB werden jeweils als Respondenten zu den Vorträgen Stellung nehmen.

In einem zweiten Teil werden in ausgewählten Fallstudien Ergebnisse aus der Projektarbeit präsentiert, und zwar aus den Bereichen 'Religion und Pluralisierung' sowie 'Darstellungen des Wissens'; dieser zweiten Tag beginnt mit einem Vortrag von Brian Cummings (Sussex). Winfried Schröder (Marburg) und Bernhard F. Scholz (Groningen) leiten die Diskussionen und fassen Ergebnisse zusammen.

In einem dritten abschließenden Teil werden die Perspektiven gebündelt und die Leistungen und Grenzen des Epochenkonzepts bewertet – wiederum ausgehend von drei Grund­satzreferaten, die sich an den drei Projektteilen des SFB 'A. Ambivalenzen des gelehrten Diskurses' (Gerhard Regn, München/Jörg Robert, Würzburg), 'B. Ordnungen des Wissens' (Herbert Jaumann, Greifswald) und 'C. Pragmatisierung der Autorität' (Cornel Zwierlein, München) orientieren werden. Andreas Kablitz (Köln) wird diesen letzten Teil 'Pluralisierung: Theorie und Applikation' moderieren und zusammenfassen.


Programm

Donnerstag, 07.12.2006


Konzeptionalisierungen der Frühen Neuzeit
11.00—11.30
Einführung
11.30—13.00
Alois Hahn, Trier
Pluralisierung der Diskurse und Selbstreferentialität subsystemspezifischer Kommunikation
Diskussionsleitung: Jan-Dirk Müller
13.00—14.30
Mittagspause
14.30—16.00
Klaus Hempfer, Berlin
Zur Interdependenz und Differenz von 'Dialogisierung' und 'Pluralisierung' in der Renaissance
Diskussionsleitung: Gerhard Regn
16.00—17.30
Olaf Mörke, Kiel
Die Zügelung des Partikularen — Politisch-normative Kohärenzstiftung vs. Pluralisierungsdruck
Diskussionsleitung: Winfried Schulze
17.30—18.00
Kaffeepause
18.00—19.30
Jan Schröder, Tübingen
Die Begriffsgeschichte von 'Recht' und 'Gesetz' als Leitfaden zum Wandel der Rechtstheorie in der Frühen Neuzeit
Diskussionsleitung: Friedrich Vollhardt

Freitag, 08.12.2006


Religion und Pluralisierung
09.00—10.00
Brian Cummings, Sussex
Acts of Uniformity: The Book of Common Prayer
Diskussionsleitung: Andreas Höfele
10.00—10.45
Gabriela Schmidt / Enno Ruge, München
'For this diuision of Ruben, are great thoughts of heart': Verhandlungen religiöser Pluralisierung im England der Frühen Neuzeit
10.45—11.15
Kaffeepause
11.15—12.00
Edith Koller / Peter Brachwitz, München
Resonanz auf Pluralisierung. Das Corpus Evangelicorum als Autorität in konfessionellen Konflikten um 1700
12.00—12.30
Diskussionsleitung und Zusammenfassung:
Winfried Schröder, Marburg
Darstellungen des Wissens
Einführung, Diskussionsleitung und Zusammenfassung:
Bernhard F. Scholz, Groningen
14.00—14.30

Synthetisierung des Heterogenen

Martin Schierbaum
, München
Metaphern als Integrationsmedien für heterogenes Wissen in den Enzyklopädien der Frühen Neuzeit — Mylaeus, Zwinger, Zara
(Vortrag und Diskussion)
14.30—15.00

Historisierung, Disziplinierung, Pragmatisierung

Frank Grunert
, München
Zur Bewältigung und zur Hervorbringung von Wissenspluralität in der frühneuzeitlichen Historia literaria
(Vortrag und Diskussion)
15.00—15.30

Akkumulation und Reduktion

Benjamin Steiner
, München
Der Umgang mit Pluralisierung historischen Wissens in frühneuzeitlichen Tabellenwerken
(Vortrag und Diskussion)
15.30—16.00

Textform als Rückhalt

Roland Schmidt-Riese
, München
Grammatiken auf amerikanischem Boden. Bausteine einer virtuellen Bibliothek
(Vortrag und Diskussion)
16.00—16.30
Kaffeepause
16.30—17.30

Semantisierung des Disparaten

Michael Waltenberger / Frieder von Ammon
, München
Die Pluralität der Texte und ihre Kompensation im Paratext — Beobachtungen zu Erzählsammlungen des 16. Jahrhunderts
(Vortrag und Diskussion)
17.30—18.00
Zusammenfassung

Samstag, 09.12.2006


'Pluralisierung': Theorie und Applikation
09.00—10.00
Herbert Jaumann, Greifswald
Pluralisierung — Eine Theorieskizze
10.00—10.30
Kaffeepause
10.30—11.30
Florian Mehltretter, München / Jörg Robert, Würzburg
Diachronie, Kausalität, Teleologie?
Aspekte von Pluralisierung in der frühneuzeitlichen Sprach- und Dichtungsreflexion
11.30—12.30
Cornel Zwierlein, München
Pluralisierung als gesellschaftlicher Prozess:
historiographische Positionierung und weiterführende Überlegungen zum Verhältnis von frühneuzeitlichen Praktiken und Theorien
Präsentation, Diskussionsleitung und Zusammenfassung:
Andreas Kablitz, Köln
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