„Auctoritas omnium legum“

Francisco Suárez’ De Legibus zwischen Theologie, Philosophie und Rechtsgelehrtheit

München, 14. – 17. April 2010

Hochschule für Philosophie, Philosophische Fakultät SJ
Kaulbachstraße  31
80539 München

Tagung des Teilprojekts A 10 (Prof. Dr. Norbert Brieskorn / Dr. Gideon Stiening)



Exposé

Francisco Suárez Tractatus de legibus ac Deo legislatore (1613)i gehört zu den historisch einflussreichsten und systematisch bedeutendsten rechtsphilosophischen Programmtexten der frühen Neuzeit. Neben Grotius De Iure belli ac pacis (1625) und Hobbes De Cive (1641) bestimmt er maßgeblich die systematischen Debatten der politischen Philosophie in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Darüber hinaus zieht es die rechtstheoretische Summe der Anstrengungen der philosophiegeschichtlich als Spanische Spätscholastik zusammengefassten Schule von Salamanca seit den 1530er Jahren.ii Sowohl im thematischen Umfang als auch in der systematischen Stringenz bietet Suárez letztes großes Werk eine Konzeption, die einerseits die philosophischen und theologischen Anstrengungen der politischen Philosophie seit Thomas von Aquin zusammenfasst und andererseits in seiner theonomen Fundierung eine politische Theologie an die Neuzeit weiterreicht, auf die sich die kommenden Modelle affirmativ oder kritisch beziehen.iii

Hinsichtlich der Forschungslage ist allerdings zu konstatieren, dass diesem Suárezschen Werk zur Rechtsphilosophie weder innerhalb der engeren Forschung zur spanischen Spätscholastikiv noch im weiteren Umfeld der Geschichte der politischen Philosophie der Frühen Neuzeitv — erst recht nicht im Kontext einer systematischen Rechtsphilosophievi — der Stellenwert zugemessen wird, der ihm aus allen drei Perspektiven zukommen sollte. Für dieses Missverhältnis zwischen der ideen- und philosophiegeschichtlicher Bedeutungvii auf der einen und dem Bearbeitungszustand auf der anderen Seite sind mehrere Gründe namhaft zu machen:

Dazu gehört zum einen die nach wie vor unzureichende philologische Bearbeitung des umfangreichen Textes; die historisch-kritische Ausgabe ist über die Bereitstellung der ersten drei Bücher noch nicht hinausgekommen.viii Zum anderen aber liegt eine hermeneutische Bearbeitung der begründungs- und geltungstheoretischen Grundlagen der in De Legibus niedergelegten politischen Philosophie des Suárez noch in den Anfängen.ix Dabei hatte er im Jahre 1597 mit den Disputationes metaphysicae eine grundlagentheoretische Schrift vorgelegt,x die eine Reihe begrifflicher und systematischer Prämissen in stringenter Weise mit den Instrumenten der rationalen Metaphysik bestimmt hatte, welche in die Rechtsphilosophie Eingang gefunden hat. Weder der Freiheits-, noch der Notwendigkeitsbegriff in De Legibus sind in ihrer spezifischen Systematizität und Semantik ohne die vorherigen Klärungen in den Disputationes angemessen zu rekonstruieren; das gilt auch für den Gottes- und Substanzbegriff wie das Relations- oder Teleologiekonzept.

Die Forschungen zur Metaphysik und die zur Rechtslehre des Francisco Suárez bildeten bislang jedoch keinerlei Berührungspunkte aus.xi Doch die Frage danach, ob Suárez theoretische und praktische Vernunft in der aristotelischen Tradition systematisch unterscheidet (und damit der Rechtslehre eine spezifische Eigenständigkeit gegenüber Theologie und Metaphysik zuschreibt) oder aber — in Vorwegnahme Wolffscher Deduktionen — diese Trennung bewusst aufhebt, kann nur in einer systematischen Rekonstruktion der Interrelation zwischen Metaphysik und Rechtsphilosophie einer näheren Klärung zugeführt werden.

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang der bislang defizitären Bearbeitung der begründungstheoretischen Dimensionen in und von De Legibus, daß der Autor selbst schon im Vorwort eine disziplinäre Zuständigkeit entwickelt, die der These von einem methodisch oder systematisch notwendigen bzw. ertragreichen Ableitungsverhältnis von Metaphysik und Rechtsphilosophie entgegensteht: Schon mit den ersten Sätzen behauptet Suárez nämlich ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis zu einer anderen Wissenschaft als der Metaphysik:

Keinen darf es verwundern, wenn jemand, der Theologie betreibt, die Gesetze einer kritischen Untersuchung für wert findet. Der hohe Rang der Theologie, der sich von ihrem überaus erhabenen Gegenstand ableitet, liefert keinerlei echten Grund für eine solche Verwunderung. Ja, mehr noch, bei genauerer Betrachtung ist es völlig einsichtig, daß eine Erörterung der Gesetze in den Arbeitsbereich der Theologie fällt, so daß der Theologe seinen Gegenstand gar nicht erschöpfend behandeln könnte, wenn er nicht auch bei einer Betrachtung der Gesetze verweilen würde.xii

Letztlich kann die begründungtheoretische Dimension dieser Rechtsphilosophie nicht ohne eine Rekonstruktion der Reflexionen des Suárez auf die Stellung der Jurisprudenz in diesem Zusammenhang erfasst werden. Ausdrücklich weist Suárez im Vorwort zu De Legibus eine ausschließliche Abhängigkeit der Rechtswissenschaft von der Philosophie, die vor allem der stoischen Tradition entstammt, zurück, weil deren „Betrachtung […] den Rahmen natürlicher Zwecksetzung“ nicht übersteige.xiii Ein vollständiges System der Gesetze müsse diesen Rahmen aber übersteigen, so dass auch die bisher eindeutige Stellung der Rechtswissenschaft als einzelwissenschaftliches Korrelat einer zwar prinzipienfundierten, aber ausschließlich weltlichen Rechtsphilosophie zu korrigieren sei.

Damit ist aber ersichtlich, dass möglicherweise ein Konkurrenzverhältnis unterschiedlicher begründungstheoretischer Disziplinen und Instanzen in die Rechtslehre des Suárez — reflektiert und unreflektiert, bewältigt oder unbewältigt — Eingang gefunden hat. Die Klärung dieser Frage nach dem Verhältnis dieser Fächer, Begriffe oder Texte — Theologie, Philosophie und Jurisprudenz; Gott, Vernunft oder positives Recht — für den begründungstheoretischen Gang der Argumentation in De Legibus ist aber essentiell für eine Rekonstruktion des Textgehaltes und soll daher ein thematisches Zentrum der anvisierten Tagung ausmachen.

Nachdem das Verhältnis von Metaphysik und Rechtsphilosophie in der Frühen Neuzeit erst allmählich in den Blick der Forschung rückt,xiv wird in dem von Norbert Brieskorn geleiteten Teilprojekt des Münchener SFB 573 zur Rechtslehre der Spanischen Spätscholastik dieser Frage einer möglichen begründungtheoretischen Relation zwischen Metaphysik, Theologie und Rechtslehre bei Francisco Suárez intensiver nachgegangen. Erste Ergebnisse sollen auf der geplanten Tagung vorgestellt und mit dem internationalen Expertengremium der Tagungsteilnehmer diskutiert werden.

Den zweiten thematischen Schwerpunkt der Tagung soll eine Rekonstruktion des gesamten Textes von De Legibus ausmachen. Den Perspektiven rechtsphilosophiehistorischer Forschungsarbeit entsprechend werden zumeist die ersten drei — der insgesamt zehn — Bücher von De Legibus zum Gegenstand der analytischen und interpretatorischen Arbeit gemacht. Diese Perspektive verengt jedoch zugleich die Wahrnehmung auf den gesamten rechtsphilosophischen Argumentationsverlauf des Werkes, damit aber auch auf bestimmte Nuancen der in den späteren Teilen erst vollends entwickelten Grundlagentheoremen. Vor diesem Hintergrund soll der zweite Schwerpunkt der Tagung auf dem Versuch liegen, möglichst alle thematischen und systematischen Schwerpunkte — mithin alle zehn Bücher — von De Legibus zu bearbeiten. Es wurde daher der Versuch unternommen, für jedes Buch des Werkes einen Referenten zu gewinnen, der sich mit dem Gehalt des jeweiligen Buches, aber auch dessen Stellung in der gesamten rechtsphilosophischen Systematik befassen soll. Zielpunkt auch dieser Rekonstruktionsarbeit wird die stete Vermittlung der Interpretation dieser Teilbereiche mit dem Ausgangsproblem, einer Analyse und Interpretation der begründungstheoretischen Struktur und Leistung der Suárezschen Rechtsphilosophie, ausmachen.

i Im Folgenden zitiert nach: Francisco Suárez: Abhandlung über die Gesetze und Gott den Gesetzgeber. Übersetzt, hg. und mit einem Anhang versehen von Norbert Brieskorn. Freiburg u.a. 2002.

ii Vgl. u.a. Norbert Brieskorn: Francisco Suárez und sein Gesetzesbegriff im Kontext. In: Manfred Walther, Norbert Brieskorn u. Kay Waechter (Hg.): Transformation des Gesetzesbegriffs im Übergang zur Moderne? Von Thomas von Aquin zu Francisco Suárez. Stuttgart 2008.

iii Die Rezeptionsgeschichte der Philosophie Suárez’ ist noch nicht in Ansätzen geschrieben; vgl. hierzu u.a. Andre Robinet: Suárez im Werk von Leibniz. In: Studia Leibniziana XIII (1981), S. 76—96. Ludger Honnefelder: Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit. Hamburg 1990; Oliver P. Rudolph: Die Psychologie Christian Wolffs und die scholastische Tradition. In: ders. und Jean-François Goubet (Hg.): Die Psychologie Christian Wolffs. Systematischer Ort, Konstitution und Wirkungsgeschichte. Tübingen 2004, S. 237—248.

iv Vgl. hierzu in ersten Ansätzen einige Beiträge in dem Band Frank Grunert u. Kurt Seelmann (Hg.): Die Ordnung der Praxis. Neue Studien zur Spanischen Spätscholastik. Tübingen 2001.

v Vgl. hierzu u.a. Ernst-Wolfgang Böckenförde: Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie. Antike und Mittelalter. 2 Aufl., Tübingen 2006.

vi Vgl. hierzu Winfried Brugger, Ulfrid Neumann u. Stefan Kriste: Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 2008.

vii Zu dem auf der Tagung zugrundgelegten Unterschied zwischen Ideen- und Philosophiegeschichte vgl. die auf eine Unterscheidung Bernard Williams (Descartes. Das Vorhaben einer reinen philosophischen Untersuchung. Frankfurt a.M. 1988, S. IX) zurückgehende präzise Differenzierung von historisch-empirisch ausgerichteter Ideengeschichte und systematisch abgezweckter Philosophiegeschichte bei Dominik Perler: Ein historisch geschärfter Blick auf die Philosophie der frühen Neuzeit, in: Philosophische Rundschau 46 (1999), S. 43—55.

viii Vgl. Francisco Suárez: De legibus, editio critica bilingue, hg. Von Luis Pereňa. Madrid 1971ff.

ix Vgl. Norbert Brieskorn: Lex Aeterna. Zu Francisco Suárez’ Tractatus de legibus ac Deo legislatore. In: Grunert u. Seelemann (Hg.) (wie Anm. 4), S. 49—73; Pauline C. Westermann: Suárez and the formality of Law. In: Matthias Kaufmann u. Robert Schnepf (Hg.): Politische Metaphysik. Die Entstehung moderner Rechtskonzeptionen in der Spanischen Scholastik. Frankfurt u.a. 2007, S. 227—237.

x Francisco Suárez: Disputationes metaphysicae. Paris 1866 [ND Hildesheim 1998].

xi Das konstatiert zu Recht auf Thomas Marschler: Die spekulative Trinitätslehre des Francisco Suárez S.J. in ihrem philosophisch-theologischen Kontext. Münster 2007, S. 53ff.

xii Suárez: De Legibus (Anm. 1), S. 15; Hvhb. von uns.

xiii Ebd., S. 19.

xiv Vgl. insbesondere Kaufmann u. Schnepf (Hg.): (wie Anm. 9).

Programm

Mittwoch, 14. April 2010

 
Anreise

Donnerstag, 15. April 2010

09.30—10.00
Norbert Brieskorn/Gideon Stiening:
Eröffnung und Einführung

I. Zwischen Metaphysik, Theologie und Rechtsgelehrtheit:
Zur Begründungstheorie der Rechtslehre in De Legibus

 
Sektionsleitung: Thomas Rentsch (Dresden)
10.00—11.00
Ludger Honnefelder (Bonn):
Anlass, Kontext und Wirkung von Suárez Disputationes Metaphysicae
11.00—11.30
Kaffeepause
11.30—12.30
Thomas Marschler (Augsburg):
Die Verbindung von Gesetzestraktat und Gotteslehre bei Francisco Suárez im Begriff der lex aeterna
12.30—15.00
Mittagspause
 
Sektionsleitung: Manfred Walther (Hannover)
15.00—16.00
Klaus-Gert Lutterbeck (Greiswald):
Jurisprudenz als ,ausübende Rechtslehre'? Zur Funktion der Rechtswissenschaft im Spannungsfeld von Theologie und Philosophie in Suárez' De Legibus
16.00—17.00
Martin Schmeisser (München):
Suárez und Thomas von Aquin über die lex naturalis.
17.00—17.30
Kaffeepause
17.30—18.30
Gideon Stiening (München):
„Der hohe Rang der Theologie“. Theologie und praktische Metaphysik bei Suárez
 
Abendessen
20.00
Öffentlicher Abendvortrag:
Matthias Lutz-Bachmann (Frankfurt a.M.):
Das Recht der Autorität – die Autorität des Rechts. Rechtsphilosophische Überlegungen im Anschluss an Francisco Suárez

Freitag, 16. April 2010

II. Zu Aufbau und Systematik der Rechtsphilosophie von De Legibus

 
Sektionsleitung: Friedrich Vollhardt (München)
09.00—10.00
Matthias Kaufmann (Halle):
Suárez’ natürliches Gesetz zwischen inclinatio naturalis und kategorischem Imperativ (DL Buch I)
10.00—11.00
Dieter Hüning (Trier):
Die Lehre des Francisco Suárez vom jus gentium (DL Buch II)
11.00—11.30
Kaffeepause
11.30—12.30
Norbert Brieskorn (München):
Muss ein Mensch einem Menschen gehorchen? Zur Staatsphilosophie in De Legibus (DL Buch III)
12.30—15.00
Mittagspause
15.00—16.00
 
Sektionsleitung: Mariano Delgado (Freiburg)
Norbert Brieskorn (München):
Benötigt die Kirche ein eigenes Recht? Status und Funktion des kanonischen Rechts bei Suárez (DL Buch IV)
16.00—17.00
Frank Grunert (Halle):
Strafe als Pflicht. Zur Strafrechtslehre bei Francisco Suárez (DL Buch V)
17.00—17.30
Kaffeepause
17.30—18.30
Oliver L. Bach (München):
Zwischen Billigkeit und Abschaffung. Suárez zur Auslegung des Rechts (DL Buch VI)

Samstag, 17 April 2010

 
Sektionsleitung: Tilman Repgen (Hamburg)
09.00—10.00
Robert Schnepf (Halle):
Suárez über das Gewohnheitsrecht (DL Buch VII)
10.00—11.00
Merio Scattola (Padua):
Das Privileg in der Rechtslehre von Suárez (DL Buch VIII)
11.00—11.30
Kaffeepause
11.30—12.30
Abschlussdiskussion
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