Bereits 1455 erhebt Lorenzo Valla den Wettstreit zum Movens allen kulturellen Fortschritts – wobei Texten und Bildwerken exemplarische Bedeutung zukommt:
"Denn es ist von Natur aus so angelegt, daß nichts richtig fortschreiten und wachsen kann, was nicht von mehreren betrieben, bearbeitet und verbessert wird – insbesondere wenn diese miteinander wetteifern und um das Lob kämpfen. Wer hätte denn als Bildhauer, als Maler etc. in seiner Kunst als vollkommen und groß herausgeragt, wenn er der einzige Künstler seiner Disziplin gewesen wäre? Jeder erfindet etwas anderes, und was jemand bei einem anderen als herausragend erkannt hat, das versucht er selbst nachzuahmen, dem gleichzukommen und es zu übertreffen [imitari, aemulari, superare]. So werden die Studien befeuert, vollzieht sich Fortschritt, wachsen die Künste und gelangen zur Vollendung, und dies umso besser und schneller, je mehr Menschen an ein und derselben Sache arbeiten."
Vallas drei unterschiedliche Formen des Umgangs mit Vorbildern (imitatio, aemulatio, superatio), die hier wohl erstmals in der Frühen Neuzeit als so eindeutiger Dreischritt formuliert und dann spätestens mit Erasmus weit verbreitet werden, signalisieren nicht nur eine neue Pluralisierung der Zugriffsoptionen auf die Tradition und damit einhergehend des neuzeitlichen Selbstverständnisses. Vallas Generalisierung erinnert auch daran, daß das Prinzip ‚wettstreitender Auseinandersetzung’ nicht allein ein humanistisches Projekt darstellt, sondern offenbar in ganz unterschiedlichen Bereichen von Kultur Anwendung fand. Die projektierte Tagung zu den "Kulturen der aemulatio" will vor diesem Hintergrund die zentrale Rolle und das Spektrum aemulativer Auseinandersetzungen im Zeitraum von ca. 1450 bis 1620 möglichst umfassend untersuchen. Dieser Rahmen ist jedoch je nach Fragestellung zu modifizieren: Während es für den Kunsthistoriker unerlässlich ist, auch die Renaissance-Kunst der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts näher zu beleuchten, empfiehlt es sich aus textwissenschaftlicher Perspektive, den Schwerpunkt auf die nachreformatorische Literatur nach ca. 1520 zu legen. In beiden Fällen sollen insbesondere Aspekte in den Blick genommen werden, die über den ‚humanistischen Kernbereich’ lateinischer Textproduktion und über die Paragone-Diskussion in den Bildkünsten hinausgehen. Untersucht werden sollen aemulative Verfahren in Text und Bild, die abseits expliziter Ordnungsprogramme das Eigengewicht und die Überlegenheit des jeweiligen Gegenstands in Auseinandersetzung mit den Alten (deutsches, lateinisches und griechisches Altertum) und den Zeitgenossen (europäischer Renaissance-Humanismus) zu profilieren suchen: Welchen Stellenwert hat aemulatio in verschiedenen produktions- und rezeptionsästhetischen Diskursen? Worin unterscheiden sich Theorie und Pragmatik der aemulatio? Was passiert, wenn der Wettstreit nicht innerhalb von Medien, Sprachen, Gattungen, Stilen sowie geographischen Bereichen stattfindet, sondern diese Grenzen überschreitet? Hierbei soll der Frage, wie sich humanistische und vernakulare Kulturen ausdifferenzieren, besondere Aufmerksamkeit zukommen. Welche ergänzenden Formen ‚subversiver aemulatio’ existieren und wie werden sie eingesetzt (etwa im Sinne ironischer/parodistischer Brechungen)? Inwiefern erweisen sich aemulative Verfahrensweisen als anschlussfähig, indem sie selbst wieder Gegenstand einer neuen aemulatio werden? Alle diese Überlegungen tragen schließlich dazu bei, die Frage nach unterschiedlichen Konzepten von Fortschritt und Formen des Neuen, von Tradition und Innovation und von differierenden Möglichkeiten und Tempi dieser Prozesse in unterschiedlichen Kontexten genauer zu fassen. Die "Kulturen der aemulatio" mögen sich gar als partielle Epochensignatur im Spannungsfeld von Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit erweisen.