Humanistische und vernakulare Kulturen
der aemulatio in Text und Bild (1450–1620)

15.–17. April 2010
Center for Advanced Studies der LMU München
Seestraße 13, 80802 München

Tagung der Teilprojekte A 3 und B 2 (Prof. Dr. Müller/Prof. Dr. Frank Büttner, Prof. Dr. Ulrich Pfisterer)



Exposé

Bereits 1455 erhebt Lorenzo Valla den Wettstreit zum Movens allen kulturellen Fortschritts – wobei Texten und Bildwerken exemplarische Bedeutung zukommt:

"Denn es ist von Natur aus so angelegt, daß nichts richtig fortschreiten und wachsen kann, was nicht von mehreren betrieben, bearbeitet und verbessert wird – insbesondere wenn diese miteinander wetteifern und um das Lob kämpfen. Wer hätte denn als Bildhauer, als Maler etc. in seiner Kunst als vollkommen und groß herausgeragt, wenn er der einzige Künstler seiner Disziplin gewesen wäre? Jeder erfindet etwas anderes, und was jemand bei einem anderen als herausragend erkannt hat, das versucht er selbst nachzuahmen, dem gleichzukommen und es zu übertreffen [imitari, aemulari, superare]. So werden die Studien befeuert, vollzieht sich Fortschritt, wachsen die Künste und gelangen zur Vollendung, und dies umso besser und schneller, je mehr Menschen an ein und derselben Sache arbeiten."

Vallas drei unterschiedliche Formen des Umgangs mit Vorbildern (imitatio, aemulatio, superatio), die hier wohl erstmals in der Frühen Neuzeit als so eindeutiger Dreischritt formuliert und dann spätestens mit Erasmus weit verbreitet werden, signalisieren nicht nur eine neue Pluralisierung der Zugriffsoptionen auf die Tradition und damit einhergehend des neuzeitlichen Selbstverständnisses. Vallas Generalisierung erinnert auch daran, daß das Prinzip ‚wettstreitender Auseinandersetzung’ nicht allein ein humanistisches Projekt darstellt, sondern offenbar in ganz unterschiedlichen Bereichen von Kultur Anwendung fand. Die projektierte Tagung zu den "Kulturen der aemulatio" will vor diesem Hintergrund die zentrale Rolle und das Spektrum aemulativer Auseinandersetzungen im Zeitraum von ca. 1450 bis 1620 möglichst umfassend untersuchen. Dieser Rahmen ist jedoch je nach Fragestellung zu modifizieren: Während es für den Kunsthistoriker unerlässlich ist, auch die Renaissance-Kunst der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts näher zu beleuchten, empfiehlt es sich aus textwissenschaftlicher Perspektive, den Schwerpunkt auf die nachreformatorische Literatur nach ca. 1520 zu legen. In beiden Fällen sollen insbesondere Aspekte in den Blick genommen werden, die über den ‚humanistischen Kernbereich’ lateinischer Textproduktion und über die Paragone-Diskussion in den Bildkünsten hinausgehen. Untersucht werden sollen aemulative Verfahren in Text und Bild, die abseits expliziter Ordnungsprogramme das Eigengewicht und die Überlegenheit des jeweiligen Gegenstands in Auseinandersetzung mit den Alten (deutsches, lateinisches und griechisches Altertum) und den Zeitgenossen (europäischer Renaissance-Humanismus) zu profilieren suchen: Welchen Stellenwert hat aemulatio in verschiedenen produktions- und rezeptionsästhetischen Diskursen? Worin unterscheiden sich Theorie und Pragmatik der aemulatio? Was passiert, wenn der Wettstreit nicht innerhalb von Medien, Sprachen, Gattungen, Stilen sowie geographischen Bereichen stattfindet, sondern diese Grenzen überschreitet? Hierbei soll der Frage, wie sich humanistische und vernakulare Kulturen ausdifferenzieren, besondere Aufmerksamkeit zukommen. Welche ergänzenden Formen ‚subversiver aemulatio’ existieren und wie werden sie eingesetzt (etwa im Sinne ironischer/parodistischer Brechungen)? Inwiefern erweisen sich aemulative Verfahrensweisen als anschlussfähig, indem sie selbst wieder Gegenstand einer neuen aemulatio werden? Alle diese Überlegungen tragen schließlich dazu bei, die Frage nach unterschiedlichen Konzepten von Fortschritt und Formen des Neuen, von Tradition und Innovation und von differierenden Möglichkeiten und Tempi dieser Prozesse in unterschiedlichen Kontexten genauer zu fassen. Die "Kulturen der aemulatio" mögen sich gar als partielle Epochensignatur im Spannungsfeld von Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit erweisen.

Programm

Donnerstag, 15. April

09:30—10:00
Einführung
10:00—11:00
Anna Kathrin Bleuler
"Aemulatio modernorum. Deutschsprachige Humanismus-Rezeption am Heidelberger Hof zur Zeit Kurfürst Friedrichs II. (1544—1556)"
11:00—11:30
Kaffeepause
11:30—12:30
Sylvia Brockstieger / Jan Hon
"Figuren der aemulatio im deutschsprachigen Roman des 16. Jahrhunderts"
12:30—14:00
Mittagspause
14:00—15:00
Henrike Schaffert
"'Nicht weniger / sondern ja gleich so wol / wo nicht höher' — Der Amadisroman als stilistisch-ästhetisches Modell"
15:00—16:00
Kai Bremer
"Zum Verhältnis von Sixt Bircks deutscher Judith-Dramatisierung und Cranachs Holofernes-Gemälde im Kontext des Augsburger Reichstags 1530"
16:00—16:30
Kaffeepause
16:30—17:30
Tobias Bulang
"Überbietungstechniken, Selbstautorisierung und Legitimationsstrategien in Text und Bild. Die Bücher des Leonhard Thurneysser zum Thurn"
17:30—20:00
Jörg Robert
"'Duriger Albertus Coum qui vincit Apellem' — aemulatio und Paragone im Umkreis Dürers"
20:00—21:00
Abendvortrag: (fällt krankheitsbedingt aus)
Klaus Krüger
"Kampf ums Bild. Überbietungsästhetik und künstlerische Selbstautorisierung um 1600"

Freitag, 16. April

09:30—10:30
Semjon A. Dreiling
"Das parodierte Bild — Verfahrensweisen subversiver aemulatio
10:30—11:30
Wilhelm Kühlmann
"Deutsche Schwänke in lateinischer Jesuitenlyrik: zwischen Adaption, Integration und Revokation"
11:30—12:00
Kaffeepause
12:00—13:00
Rebecca Zorach
"Triangular Passions and the Aemulatio of Point of View"
13:00—14:30
Mittagspause
14:30—15:30
Stephen Campbell
"Bronzino: Aemulatio and Love"
15:30—16:30
Larry Silver
"Hendrik Goltzius Translates the Renaissance"
16:30—17:00
Kaffeepause
17:00—18:00
Fabian Jonietz
"'... rubando al tempo il tempo ...' — Die Kategorie 'labor' im künstlerischen Agon des Cinquecento"
18:00—19:00
Nils Büttner
"'Con tanta gloria contra le pretensioni di tutti li primi pittori': Rubens im Wettstreit"
19:00
Abendessen

Samstag, 17. April

09:00—10:00
Claudia Märtl
"actio und aemulatio. Von der Wirklichkeit der Rede an der Kurie des 15. Jahrhunderts"
10:00—11:00
Eric Achermann
"Aemulatio und die frühneuzeitliche Zeremonialwissenschaft"
11:00—11:30
Kaffeepause
11:30—12:30
Claudius Sittig
"Adelige aemulatio — Turnier und Text um 1600"
12:30—13:30
Martin Schmeisser
"Aemulatio im Menschenwürdediskurs des Humanismus: Giannozzo Manetti und Fernán Pérez de Oliva"
13:30
Ende der Tagung
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