Das berühmte Diktum Lorenzo Vallas, Kardinal Bessarion sei »inter latinos graecissimus, inter graecos latinissimus«, lässt in seiner Ambivalenz das breite Spektrum des Umgangs mit ›kultureller Differenz‹ zwischen lateinischem Westen und griechischem Osten erahnen. Bessarion steht als Grenzgänger zwischen beiden Welten, als Vermittler, Integrator und humanistischer Patron im Zentrum der kulturellen Eingliederungs- und Ausschließungsprozesse, wie sie die Frühe Neuzeit prägen. Der Kardinal gehörte zu den wichtigsten griechischen Emigranten, die im Zuge des Florentiner Konzils und der osmanischen Eroberung Konstantinopels nach Italien kamen. Im Laufe seines Lebens füllte er verschiedene Ämter und gesellschaftliche Funktionen aus, bewegte sich in vielerlei unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen und beteiligte sich an den wichtigsten, aber auch an vielen weniger wichtigen Diskursen der Zeit, die jedoch allesamt den Hintergrund für die Deutung seiner politischen, theologischen, wissenschaftlichen und philosophischen Aktivitäten bilden.
Die Tagung ist auf die Beobachtung und Untersuchung von Prozessen und Mechanismen der ›Integration‹ von ›kultureller Differenz‹ ausgerichtet. Untersucht wird zum einen die Gestaltung der Aufnahme Bessarions in okzidental-lateinische Kreise, zum anderen die Beziehungen des Kardinals zu seiner griechischen Heimat, zu anderen Exilgriechen sowie die sich eventuell ergebenden Formen griechischer Desintegration und lateinischer Integration. Darüber hinaus beleuchten akzentuierende Beiträge Bessarions Vertrautenkreis, das Kardinalskollegium und sein Wirken als Legat. Weitere Schwerpunktbereiche beschäftigen sich ebenso mit dem Einfluss des Kardinals auf die Rezeption griechischer Wissenschaften wie mit der Frage, wie das Bild antiker Philosophie durch Bessarion und dessen Entourage konstruiert wird und sich diese (Re-)Konstruktionen von anderen zeitgenössischen Versuchen, die Philosophie neu zu fassen, unterscheiden. Ziel der Tagung ist es, ein möglichst differenziertes Bild des komplexen Zusammenspiels der genannten Prozesse zu gewinnen, welches erlaubt, die kulturellen Integrations- bzw. Desintegrationsbemühungen des griechisch-lateinisch-italienischen Kulturnetzwerks im 15. Jahrhundert nachzuvollziehen.