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Einführung

Der SFB untersucht Konstitutionsbedingungen und Basisstrukturen der Frühen Neuzeit. Die Kulturwissenschaften erkennen die Frühe Neuzeit zunehmend als Epoche, die einerseits noch von den Traditionsvorgaben des Mittelalters abhängig ist, andererseits aber die Voraussetzungen für den Übergang ›Alteuropas‹ zur Moderne schafft. Der SFB bündelt entsprechende literatur- und sprachwissenschaftliche, historische, philosophische, kunst-, musik- und rechtsgeschichtliche Forschungen unter den Leitbegriffen ›Pluralisierung‹ und ›Autorität‹. Pluralisierung meint zunächst die Vermehrung der in einem Lebens- oder Kulturbereich bekannten und relevanten Repräsentationen der Wirklichkeit und bedeutet darüber hinaus die Emergenz von ›neuem‹ bzw. alternativem Wissen und das Entstehen konkurrierender Teilwirklichkeiten. Diese müssen aufeinander abgestimmt werden; es entstehen Formen des Dialogs, der, über die Grenzen der Teilwelten hinweg, Unterscheidungen, Vergleiche und Übersetzungen vornimmt. Die Felder dieser Dynamik sind bekannt: Konfessionalisierung, Ausdifferenzierung von Wissen, Entdeckung neuer Kontinente, Ausbildung neuer Muster sozialen Verhaltens usw.

Dabei ist davon auszugehen, dass Pluralität noch nicht Pluralisierung bedeutet, die sich erst in einem langen, widerspruchsvollen Prozess einspielt. Wahrheitsansprüche werden nicht lediglich demonopolisiert, sondern auf neue Instanzen und Geltungsbereiche verschoben. Hier fordert der Begriff der Pluralisierung den komplementären der Autorität. Autorität meint unterschiedliche Formen von Normierungsansprüchen. Darunter fallen Instanzen politischer und religiöser Macht, die ihre Setzungen zu exekutieren vermögen, ebenso wie Prozesse der Kanonisierung sowie all jene informellen Geltungsansprüche, die schon dem lateinischen Begriff ›auctoritas‹ innewohnen. Autorität fungiert als Geltungsmacht, die Entscheidungen herbeiführt und legitimiert. Sie ist nicht nur Gegenhalt zu Prozessen der Pluralisierung, sondern sie kann Widerspruch hervortreiben und so neue Freiheitsräume eröffnen.

Das Verhältnis von Pluralisierung und Autorität ist also keineswegs deckungsgleich mit dem von Innovation und Beharrung. Die dynamischen Momente der Pluralisierung stehen der Statik vorgegebener Autoritäten nicht einfach antithetisch gegenüber, vielmehr sind beide in vielfältiger Weise miteinander verflochten. Im konflikthaften Wechselspiel von Pluralisierung und Autorität gilt das besondere Interesse des SFB in seiner gegenwärtigen, dritten Projektphase insbesondere den jeweils ausgehandelten Auflösungen dieser Spannung. Nachdem im ersten Förderabschnitt das Konzept einer prozessual sich herausbildenden Autorität, in der zweiten Förderphase der Pol der Pluralisierung unter den Leitbegriffen ›Disparität‹ und ›Dissens‹ im Mittelpunkt stand, werden nun verstärkt Formen des Sich-Arrangierens mit konflikthaltigen Strukturen und Situationen, Formen der Entschärfung, des Ausklammerns oder der Vergleichgültigung in den Blick genommen.

Der hohe Abstraktionsgrad der Leitbegriffe erlaubt es, für gewöhnlich disziplinär isolierte Prozesse in Literatur, Wissenschaft, Kunst, Gesellschaft, Recht in einheitlicher Perspektive zu betrachten, dabei aber ihre Ungleichzeitigkeiten und Brüche untereinander angemessen zu berücksichtigen. Der zeitliche Rahmen ist bewusst weit gespannt, so dass Phänomene des Spätmittelalters ebenso ins Auge gefasst werden können wie solche der ›Sattelzeit‹ um 1750. Nur ein historisch so weiter Ansatz kann die regionalen und disziplinenspezifischen Verschiebungen und Verwerfungen zwischen den anvisierten Prozessen erfassen.

Die Teilprojekte des SFB ordnen sich drei Gruppen zu: Der erste Projektbereich — A. Ambivalenzen gelehrter Diskurse — befasst sich mit Theoriediskussionen frühneuzeitlicher Gelehrtenkultur. Der zweite — B. Ordnungen des Wissens — fächert die Untersuchungsperspektive weiter auf, indem er den Aspekt der Kartierung und medialen Vermittlung von Wissensbeständen aller Art betrachtet. Der dritte — C. Pragmatisierung von Autorität — untersucht, wie autoritative Setzungen instrumentalisiert oder unterlaufen, und wie Handlungsnormen an lebensweltliche Bedürfnisse angepasst werden. In allen drei Bereichen sind die einzelnen Forschungsprojekte so angelegt, dass sie auf der einen Seite den Anforderungen disziplinärer Ausdifferenzierung moderner Kulturwissenschaften genügen, auf der anderen Seite Anschlussstellen für die Überlegungen auf benachbarten Feldern bieten.

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