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Interview mit Anthony Long:

Vom 4. bis zum 6. März fand an der Ludwig-Maximilians-Universität in München die Internationale Tagung „Para/textuelle Verhandlungen zwischen Dichtung und Philosophie in der Frühen Neuzeit“ statt, die von drei Teilprojekten (A4, A12 und C16) des Sonderforschungsbereiches 573 „Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit“ organisiert wurde.
Unter den vielen Referenten aus dem Ausland bot Anthony Arthur Long (University of California, Berkeley) mit seinem Vortrag ein ganz besonderes Highlight. Er sprach über: Poets as philosophers and philosophers as poets: Parmenides, Plato, Lucretius, Wordsworth. Anthony Long genießt weltweit große Anerkennung, nicht zuletzt wegen seiner Fachkenntnis in Antiker Philosophie. Wer dem fast 73-Jährigen zum ersten Mal gegenübersteht, ist sofort von seiner Vitalität beeindruckt.
Sein Jungbrunnen: vier Mal in der Woche Fitnessstudio und die unermüdliche Liebe zu den Klassikern der Griechischen und Lateinischen Literatur. Er ist in Großbritannien geboren, genießt jedoch seit 1983 die Sonne Kaliforniens.

Herr Long, Sie sind nicht zum ersten Mal in Deutschland.
Können Sie uns etwas über Ihre früheren Erfahrungen hier erzählen?

1973 wurde ich von Prof. Uvo Hölscher als Gastprofessor in München eingeladen. Es war eine große Chance für mich;
daher nahm ich die Einladung sofort an. Erst später merkte ich, dass ich auf Deutsch hätte unterrichten sollen...

Ihr Deutsch ist gut! Haben Sie später die Möglichkeit gehabt, wieder Deutsch zu sprechen?
In meinem Leben hatte ich viel Glück und bekam immer interessante Einladungen. 1991—1992 gehörte ich zur Forschergruppe im Wissenschaftskolleg Berlin.

Was sind Ihre schönsten Erinnerungen an Deutschland?
Berlin hat mich fasziniert, aber ich muss gestehen, dass die Gruppe von 35 Wissenschaftlern im Kolleg so interessant war, dass ich die meiste Zeit mit anregenden Unterhaltungen verbracht habe; in München habe ich immer gern die Oper besucht und Spaziergänge im Englischen Garten genossen; darüber hinaus finde ich, dass die Qualität der Zeitungen in Deutschland sehr hoch ist, eingeschlossen die der SZ.

Gibt es etwas, was Sie an Deutschland nicht so mögen?
Nun ja, es ist schwer, am Wochenende seine Einkäufe zu erledigen, und man darf Sonntags nicht zu viel Lärm machen.
Damals kam meine Frau, die Pianistin ist, mit mir nach Berlin, und musste auch Sonntags üben. Das hat den Nachbarn nicht unbedingt gefallen...

Was war jetzt der Anlass für Ihre Reise nach München?
Als ich die Einladung für die SFB-Tagung bekommen habe, habe ich, wie ich schon in meinem Vortrag gesagt habe, Freude und Angst zugleich empfunden. Am Ende hat aber die Freude die Oberhand gewonnen. Es hat mich gereizt, mich mit einer Epoche (der Frühen Neuzeit), die mir nicht vertraut war, zu beschäftigen. Es war eine Herausforderung für mich und ich habe dabei sehr viel gelernt. Die Konferenz war sehr gut organisiert, ich habe hohe Professionalität und eine sehr schöne Atmosphäre erlebt.

Sie haben über Parmenides, Platon, Lukrez und Wordsworth referiert...
Ich wollte die Frage behandeln, wie Dichtung und Philosophie zueinander stehen. Daher habe ich zwei Dichterphilosophen ausgewählt: Parmenides und Lukrez. Weiterhin Platon, der, obwohl er nicht in Versen schreibt, dennoch in gewisser Weise „dichterisch“ gearbeitet hat (ποιητικω̆ς), und immer eine ambivalente Haltung zur Dichtung hatte, und Wordsworth, ein Dichter, der diese Welt aus einer meines Erachtens ganz neuen Perspektive sah.

Und was denken Sie von Dichtung und Philosophie heutzutage?
Wie ich in meinem Vortrag zusammengefasst habe, ist es heute sehr schwierig für uns, Dichtung und Philosophie zu kombinieren; gelegentlich aber ist es den frühen Autoren, wie etwa den vier von mir ausgewählten Autoren, gelungen, ihren Lesern einen Ausschnitt der Wirklichkeit zu bieten, der diese beiden Bereiche vereint, indem er sowohl rational und objektiv,
wie auch visionär, fantasievoll und subjektiv war.

Ihr Leben war sehr abwechslungsreich.
Wollen Sie uns erzählen, wie Sie zum Studium der Klassischen Philologie kamen?

Das ist eine nette Geschichte! Als ich Schüler war und Griechisch und Latein in der Schule hatte, schwor ich mir, mich nie wieder mit diesen Fächern zu befassen! Nach meinem Militärdienst in England aber wollte ich Gymnasiallehrer werden und kehrte zu Griechisch und Latein zurück. Beim Studium zeigte sich dann meine Liebe zu den alten Sprachen wie auch eine gewisse Begabung, und man schlug mir sogar vor zu promovieren! Ich lehnte ab und bewarb mich auf verschiedene Jobs im Verwaltungswesen. Ich hatte schon das Angebot der pharmazeutischen Firma „Boots“ angenommen, als ich eine unerwartete Einladung erhielt: Ich wurde gefragt, ob ich Antike Philosophie an der University of Otago in Neuseeland unterrichten wolle.
Ich war sehr jung und die Aufgabe schien mir unglaublich spannend zu sein. Dank der Firma „Boots“, die meinen Vertrag freundlicherweise problemlos löste, konnte ich von London direkt das Schiff nehmen, das mich nach Neuseeland brachte.
In den 5 ½ Wochen auf dem Schiff bereitete ich meine erste Lehrveranstaltung vor.

Und was geschah dann?
Ich merkte, wie viel Freude ich am Unterrichten hatte. Dann schrieb ich für eine meiner Veranstaltungen einen Artikel über Parmenides und schickte ihn zum Korrekturlesen zu meinem Professor in London. Er fand ihn interessant, sandte ihn weiter zur wissenschaftlichen Zeitschrift Phronêsis, und das wurde meine erste Publikation. Daraufhin war mein Ehrgeiz geweckt, und nach 3 ½ Jahren in Neuseeland nutzte ich die Möglichkeit eines forschungsfreien Semestern. Auf dem Rückflug von Neuseeland musste ich in San Francisco umsteigen. Es war 1964, mein erstes Mal in den Staaten. Ich konnte die Universität Berkeley besuchen und war eine Zeit lang in Princton. Als ich nach England zurückkam, bot sich mir schon die Möglichkeit, einen Posten an der Universität Berkeley zu bekommen, aber damals wollte ich lieber in England bleiben. So machte ich dort Karriere zwischen Nottingham, London und Liverpool, bis das Angebot, nach Berkeley zurückzukehren, wieder konkret wurde.
Und dieses Mal konnte ich meinem Schicksal nicht entgehen!

Sie haben sich auf drei verschiedenen Kontinenten betätigt. Welche Unterschiede sind Ihnen aufgefallen?
Ich will erklären, was ich in den Geisteswissenschaften erlebt habe. In Europa arbeiten Wissenschaftler intensiv zusammen.
Sie organisieren Tagungen (wie die, an der ich gerade teilgenommen habe), tauschen Ideen aus, haben das Gefühl, zu einer Gruppe zu gehören, die ihre Identität stärkt. Aber es gibt auch Nachteile in diesem System. Jüngere Wissenschaftler sind immer den Lehrern untergeordnet; in dem Bestreben, sich ihnen gegenüber loyal zu zeigen, sind sie wohl weniger kreativ als sie sein könnten. Nach dem Ablauf der Projekte, in die sie eingebunden sind, scheint ihre Zukunft in Europa weniger gesichert zu sein. In den USA hingegen ist das System weniger hierarchisch; auch wenn die Forschung eine individuelle Angelegenheit ist, sind die Leute immer aufgefordert, ihre eigenen Ideen zu entwickeln.

Denken Sie auch, dass, wie viele heute sagen, Europa verblödet?
Ich möchte jetzt nicht zu kritisch klingen, wenn ich sage, dass Deutschland, das vorher die führende Nation für Klassische Philologie war, seine führende Position nicht mehr halten kann. Wir sind hier zu sehr in alten Denkmustern verhaftet (ich spreche auch für Großbritannien). Wir sollten vielmehr anfangen, unsere Fächer aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Einen Stimulus bietet etwa Frankreich an, wo Wissenschaftler wie Calame und Vernant die Klassische Philologie unter dem Gesichtspunkt der Anthropologie erforschen. Und das könnte zu sehr interessanten Ergebnissen führen, finde ich.
Auch die Thematik des Para- und Epitexts, die in der SFB-Tagung entwickelt wurde, scheint mir reizvolles Neuland zu sein.

Meine letzte Frage ist:
Wieso sollte man sich nach wie vor mit den griechischen und lateinischen Klassikern beschäftigen?

Man könnte hier die traditionelle Antwort geben: weil Griechenland und Rom die Wurzeln unserer westlichen Staaten sind.
Ich möchte aber sagen, dass in einer Welt, in der alles so schnelllebig ist, wir wirklich ein Gefühl für Perspektive und Geschichte brauchen. Wenn man Klassische Philologie studiert, kann man Ausgeglichenheit und Urteilsfähigkeit entwickeln. Oft haben junge Leute eine falsche Vorstellung von den Klassikern. Sie denken, man muss sich mit komplizierten grammatikalischen Regeln beschäftigen, vergessen aber dabei, dass Klassische Philologie ein sehr abwechslungsreiches Gebiet ist, das uns erlaubt, mehrere Dinge zugleich zu lernen und zu verstehen: Kunst, Archäologie, Geschichte, Literatur, Philosophie. Und es ist nicht wahr, dass Klassische Philologie keinen neuen Stoff bietet! Abgesehen davon, dass immer neue Textzeugnisse (auch mit Hilfe der Archäologie) gefunden werden, ändern sich ständig die Methoden und die Art und Weise, durch die wir die klassische Welt betrachten. Das bedeutet, dass Griechisch und Latein zu studieren sehr spannend ist und es leicht ist, sich für diese Welt zu begeistern, wie auch meine eigene Erfahrung bestätigt.

Dr. Patrizia Marzillo

Dr. Patrizia Marzillo ist Mitarbeiterin im Sonderforschungsbereich 573 „Pluralisierung und Autorität“ an der LMU München im Fachbereich Gräzistik. Sie hat Klassische Philologie und Philosophie in Neapel studiert, wurde dann 2006 in München promoviert mit: Der Kommentar des Proklos zu Hesiods ‘Werken und Tagen’. Edition, Übersetzung und Erläuterung der Fragmente. Neben ihren Publikationen über Antike Philosophie (insbesondere Allegorese im Platonismus) veröffentlichte sie Beiträge zur Rezeption griechischer Philosophie in der Frühen Neuzeit.

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