Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit

1.-3. Oktober 2003
LMU München
Historicum: Raum 201

Veranstalter: Projekte B1 (Dr. Arndt Brendecke)
und C8 (Prof. Dr. Winfried Schulze, Dr. Ralf-Peter Fuchs)



Historisches Seminar, Abteilung Frühe Neuzeit
Postadresse: Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München
Telefon: 089-2180-5561
Telefax: 089-2180-5663
http://www.geschichte.uni-muenchen.de/gfnz/schulze/index.shtml

B1 'Schauplätze' des Wissens und ihre Grenzen in frühneuzeitlicher Geschichtsschreibung, Astrologie und Wissenskompilatorik

C8 Normaljahre, Kalendernorm. Verarbeitung konfessioneller Pluralisierung im Alltag

Beschreibung

Die Tagung möchte die sich wandelnden Formen frühneuzeitlicher Konstruktion von Zeit in den Blick nehmen. Sie kann dabei an die bestehende Forschung zur Zeit anknüpfen, möchte jedoch zugleich einer weiteren Spezialisierung der je eigenen Forschungsdiskurse etwa zur Kalenderrechnung, Zeittheologie und -philosophie entgegenwirken. Sie möchte zweitens auf den unbefriedigenden Befund von Aporien reagieren. Diese stellen sich ein, sobald man historische Zeitkonzeptionen auf ihre inhaltliche Kohärenz analysiert: Wie lässt sich beispielsweise der Glaube an das nahe Weltende mit dem Entwurf 'ewiger Kalender' vereinbaren, wie sie teilweise in der Vorstellung eines Gelehrten koexistierten? Hier von einer Überlappung 'noch' heilsgeschichtlicher und 'schon' moderner Zeitkonzepte zu sprechen oder gar, die Frühe Neuzeit vor die 'Erfindung' der Zukunft zu verlegen, scheint der funktionalen Komplexität des Phänomens 'Zeit' wenig gerecht zu werden. Ausgegangen wird vielmehr von einem spezifischen Spannungsfeld: So lässt sich einerseits beobachten, dass Zeitsysteme selbst als vorgegebene, unveränderbare Ordnungsfaktoren, denen entscheidende Autorität zukam, betrachtet wurden. Andererseits brachte es die Koexistenz verschiedener Vorstellungen, zu denen nicht zuletzt verschiedene Kalender gehörten, mit sich, dass man die menschliche Gestaltbarkeit von Zeitordnungen zunehmend als Selbstverständlichkeit empfand. In diesem Zusammenhang interessiert nicht nur, wie die jeweiligen 'Aneignungen' von Zeit durch Individuen, Gruppen und Institutionen vollzogen wurde, sondern auch, in welche individuellen und gesellschaftlichen Lebensbereiche die Regulierung von Zeit hineinwirkte. Zeit als Regulativ in der Frühen Neuzeit zu thematisieren, bedeutet in diesem Sinne, ihren pragmatischen Funktionen sowie ihren sinngebenden Bedeutungen nachzugehen. Konkret wird deshalb u. a. zu fragen sein, wie den ge- und erfundenen Formen von 'Zeit' Geltung verschafft wurde und welche, auch konfessionellen Vorstellungen den Bestrebungen, Zeit als Ordnungsfaktor nutzbar zu machen, zugrundelagen. Thematisch lassen sich drei Ebenen unterscheiden: Erstens: Der Bereich wissenschaftlich begründeter Zeitordnungen. Zeit wurde hier, basierend auf Kenntnissen von Natur, Chronologie und Astronomie, in kalendarische Systeme überführt. Zweitens: Eine religiöse Ebene, die Zeitordnungen höhere Dignität verlieh und sie schließlich auch in konfessionelle Gegensätze mit einbezog. Drittens: Eine pragmatische Ebene, auf der zeitliche Ordnung im Rahmen individueller Lebens- und obrigkeitlicher Herrschaftspraxis reguliert wurde und regulierend wirkte. Faktisch sollen die Vorträge zu sechs Blöcken zusammengefasst werden, die nicht jeweils die wissenschaftlichen, religiösen oder pragmatischen Zeitordnungen getrennt behandeln, sondern konkrete 'Anwendungsbereiche' des Zeitphänomens in das Zentrum stellen und die jeweiligen Forschungsdiskurse bewusst miteinander zu konfrontieren versuchen: Fokus bleiben so Mensch, Kultur und Gesellschaft, d.h. die Produzenten und Rezipient der jeweiligen Zeitordnungen.

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Programm

Mittwoch, 1. Oktober 2003

14.00
Begrüßung
14.15—15.00
Eckhard Keßler, München
Eröffnungsvortrag:
Zeitverständnisse in der Philosophie der Renaissance
15.00—18.30
I. Zeitordnungen und Zeitökonomie
Moderation: Winfried Schulze
Gerhard Dohrn-v. Rossum, Chemnitz
Zeit der Kirche — Zeit der Händler — Zeit der Städte
Jan Peters, Potsdam
Die Recht-Zeitigkeit bäuerlichen Lebens und Arbeitens: Wiederholen oder Verändern, Hinnehmen oder Zergliedern?
16.30—17.00
Kaffeepause
Kaspar v. Greyerz, Basel
Zeitökonomie in Selbstzeugnissen
Klaus Schreiner, München
Theologische und rationale Begründungen der Zeitordnung und der Zeitökonomie in religiösen Sozialsystemen

Donnerstag, 2. Oktober, 2003

9.15—12.45
II. Lebenszeit, Lebensalter
Moderation: Arndt Brendecke
Michael Stolberg, Würzburg
Zeit und Leib in der medikalen Kultur der Frühen Neuzeit
Stefan Ehrenpreis, Berlin
Zeitkonzepte in pädagogischem Schrifttum und schulischer Praxis
10.45—11.15
Kaffeepause
Thomas Duve, München
Die Bedeutung des Lebensalters im frühneuzeitlichen Recht
Dagmar Freist, Osnabrück
Lebensalter und Konfession. Zum Problem der Mündigkeit in Religionsfragen
12.45—14.15
Mittagspause
14.15—15.45
III. Zeitgefühl, Zeitbewußtsein
Moderation: Ralf-Peter Fuchs
Antje Stannek, Braunschweig
Zeit am Hof. Ordnung, Rhythmus und Bewußtsein der Zeit am Welfenhof
Alexander Schunka, München
Zeit des Exils — Zuwanderer in Sachsen im 17. und 18. Jahrhundert
15.45—16.15
Kaffeepause
16.15—17.45
IV. "Öffentliche Zeit" — Zeitsetzungen
Moderation: Gerhard Dohrn-van Rossum
10:00—11:00
Karl Härter, Frankfurt
Reglementierung, Disziplinierung und Fragmentierung von Zeit in frühneuzeitlichen Policey-Ordnungen
Edith Koller, München
Alter oder Neuer Kalender? Die Suche nach der richtigen Zeit
Anschließend: Gemeinsames Abendessen

Freitag, 3. Oktober, 2003

9.15—12.00
V. Handlungszeit — Zeitpunkte
Moderation: Thomas Duve
Christiane Birr, Würzburg
Verschwiegen und verjährt — Verflossene Zeit als Argument vor Gericht
Winfried Schulze, München
Zeitvorstellungen in Religionsfriedensverträgen
10.45—11.15
Kaffeepause
Ralf-Peter Fuchs, München
Die Autorität von "Normaljahren" im konfessionellen Wiederaufbau nach dem Dreißigjährigen Krieg. Ein Vergleich zwischen dem Fürstbistum Osnabrück und den jülich-klevischen Ländern
12.00—13.15
Mittagspause
13.15—16.45
VI. Historische Zeitordnungen
Moderation: Helmut Zedelmaier
Marcus Sandl, Konstanz
Zukunft um 1500. Die reformatorische Zeitenwende zwischen Prophetie und Exegese
Thomas Kaufmann, Göttingen
Apokalyptik und Politiktheorie im Luthertum des 16. Jahrhunderts
14.45—15.15
Kaffeepause
Markus Völkel, Rostock
Narration und Chronologie
Arndt Brendecke, München
Maßstäbe historischer Zeit. Eine Analyse chronologischer Tabellenwerke der Frühen Neuzeit
16.45
Schlussdiskussion
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