Exposé:
Zum Ende seiner elfjährigen Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft lädt der Sonderforschungsbereich 573 zu seiner Abschlusstagung, bei der es darum gehen soll, Erträge der gemeinsamen Arbeit und sich aus ihnen ergebende weiterführende Perspektiven der Frühneuzeitforschung zur Diskussion zu stellen.
Revisionen des Epochenprofils durch einen historisch trennscharfen kulturwissenschaftlichen Konzeptrahmen zu ermöglichen — so ließe sich das Programm der im SFB betriebenen interdisziplinären Forschungen auf eine kurze Formel bringen. Unter den Leitbegriffen Pluralisierung und Autorität wurde eine Heuristik erarbeitet, die sich von den (zumindest latenten) Teleologien vorgängiger Forschungsparadigmen abhebt. Im Vergleich mit Konzepten wie ›Rationalisierung‹, ›Säkularisierung‹, ›Sozialdisziplinierung‹ oder ›Modernisierung‹ bewährte sich diese Heuristik gerade darin, zunächst richtungsoffene und widersprüchliche Vorgänge auf allen Ebenen der frühneuzeitlichen Kultur zu erkennen und zu beschreiben: Pluralisierungen können immer auch mit Vereinheitlichungsschüben einhergehen; sie werden in der Frühen Neuzeit auf der Ebene der kulturellen Semantiken typischerweise mit Einheitsphantasmen bearbeitet und strukturell durch institutionelle Hemmnisse wie Zensur, obrigkeitliche Regulierung von Religion, ›polizeylichen‹ Ausschluss von Dissidenz und dergleichen erschwert. Autorität wiederum ist keineswegs als statisch gegeben zu verstehen, vielmehr stets als Arbeit an der Autorisation und Durchsetzung der eigenen Geltungsansprüche, die andere, konkurrierende Ansprüche bestreitet.
Für die Frühe Neuzeit ist typisch, dass Autoritäten auf Gegenautoritäten treffen, Entscheidungsträger miteinander in Konflikt liegen, Institutionen miteinander konkurrieren, Traditionen in Frage gestellt werden, unterschiedliche Modelle der Praxis entwickelt werden und die Ordnung der Disziplinen durch epistemische und mediale Umbrüche umgebaut wird. Das bedeutet, dass die Dynamik, die im Begriff der Pluralisierung steckt, auch den — vermeintlich statischen — Gegenhalt der Autorität ergreift, die ihrerseits mithin nie ohne Autorisierung zu denken ist. Gerade weil sich die Prozesse und Strukturen der Pluralisierung und Autorität je gegenseitig voraussetzen und hervor treiben, ermöglicht es dieser konzeptuelle Ansatz, die Eigenarten der Frühen Neuzeit differenzierter als bisher erschließbar zu machen. Re-Visionen der Epoche, die sich — im Großen wie im Detail — aus der ›Doppeloptik‹ Autorität und Pluralisierung ergeben, sollen im Rahmen der Abschlusstagung diskutiert und auf neue Forschungsfelder hin geöffnet werden.
Programm:
Sonntag, 9. Oktober
- 18:00—19:00
- Begrüßung und Eröffnungsvortrag
Anthony Grafton:
Early Modern Scholars and Christian Origins
Montag, 10. Oktober
- 09:30—10:30
- Peter Strohschneider:
Pluralisierung und Alterität - 10:30—11:30
- Merio Scattola:
Autorität und Pluralisierung, Einheit und Pluralität
in den politischen Lehren des 17. Jhs. - Kaffeepause
- 12:00—13:00
- Jan-Dirk Müller:
Alte contra neue Autoritäten.
Antikerezeption und volkssprachige Traditionen. - Mittagspause
- 14:45—15:30
- Diskussionsforum I:
Differenz und Konflikt - 15:30—16:30
- Wilhelm Schmidt-Biggemann:
Wie autorisiert sich eine Tradition? Über wissenspolitische Legitimitätsprogrammatik - Kaffeepause
- 17:00
- Oliver Primavesi:
Francesco Patrizi da Cherso (1529—1597):
Ein Platoniker und die Autorität des Aristoteles
Dienstag, 11. Oktober
- 09:30—10:30
- Arndt Brendecke:
Frühneuzeitforschung als Archäologie der Moderne - 10:30—11:30
- Barbara Stollberg-Rilinger:
Die Frühe Neuzeit — eine Epoche der Formalisierung? - Kaffeepause
- 12:00—13:00
- Friedrich Vollhardt:
Das Problem der Quantität und die Neuordnung des Wissens in der Ausbildung des Juristen:
Das 'Cautelen'- Projekt von Christian Thomasius - Mittagspause
- 14:45—15:30
- Diskussionsforum II:
Medien und Sichtbarkeit - 15:30—16:30
- Martin Mulsow:
Pluralisierung, Kommunikationsgeschichte
und Wissensgeschichte - Kaffeepause
- 17:00—18:00
- Ulrich Pfisterer:
Renaissance der Vier Erdteile — oder:
Die Entdeckung der Welt-Kunst
Mittwoch, 12. Oktober
- 09:30—10:30
- Florian Mehltretter:
Das Ende der Renaissance-Episteme? Bemerkungen zu Giambattista Marinos Adonis-Epos - 10:30—11:30
- Claudia Olk:
Revision and Resurrection: The poetics of Mary Magdalene and The Winter's Tale - Kaffeepause
- 12:00—13:00
- Verena Lobsien:
Topik und Tropik der Imagination:
Revisionen frühneuzeitlicher Seelenlehre in Spensers Cantos of Mutabilitie - Mittagspause
- 14:45—15:30
- Diskussionsforum III:
Säkularisierung und (Re)sakralisierung - Kaffeepause
- 16:00—17:00
- Andreas Kablitz:
Renaissance: Nachahmung der Antike versus imitatio auctorum
Info:
Veranstaltungsort:
LMU München
Geschwister-Scholl-Platz 1
80539 München
Sonntag: "Senatssaal" Raum E 106
Montag–Mittwoch: Raum F 107
Kontakt:
Uta Liebl
Sonderforschungsbereich 573
Pluralisierung und Autorität in der Frühen Neuzeit
Ludwig-Maximilians-Universität München
Geschwister-Scholl-Platz 1
80539 München
Telefon 089/2180-1389
sfb.frueheneuzeit@lrz.uni-muenchen.de